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Wenn Schweißtoleranzen zum Höllentrip werden

Geschrieben von Norbert Höppe | 20.11.2024 09:54:11

Unzureichend vorgefertigte Bauteile, Probleme beim gleichmäßigen Einspannen, Materialverzug durch zu viel Wärme aus dem Prozess … sehr oft ist es eine große Herausforderung, die vorgegebenen Lagetoleranzen beim Schweißen einzuhalten. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Beim Handschweißen können Unregelmäßigkeiten noch ganz gut und mit ein wenig Geschick ausgeglichen werden. Beim automatisierten Schweißen sowie Roboterschweißen sieht das Ganze schon anders aus. Hier wird das Problem auf unterschiedliche Art und Weise gelöst. Von „Ich gebe einfach mehr Schweißdraht in den Prozess, die Fuge wird dann schon ausreichend gefüllt sein“ bis hin zu „Wir setzen ausschließlich auf automatisierte optische Nahtführung, weil wir uns teure Nacharbeit oder gar Ausschuss einfach nicht leisten können“ ist alles dabei.

In diesem Blog möchten wir Ihnen unterschiedliche Ansätze vorstellen, wie Sie beim automatisierten Schweißen und beim Schweißen mit Robotern gemäß den unterschiedlichen DIN-Normen die vorgegebenen Schweißtoleranzen einhalten können. Sie werden erstaunt sein: Was nach einer günstigen Lösung aussehen mag, stellt sich auf Dauer gesehen als Geldschleuder heraus. Andererseits können anfangs herausfordernde Investitionen während der Zeit ihres Einsatzes sowohl Zeit als auch Kosten einsparen.

Vor dem Schweißen kommt das Finden

Bevor ein Roboter oder Schweißautomat eine Naht ausführen kann, muss er wissen, wo sich die Fuge befindet. Das geben Sie dem Schweißroboter natürlich vor. In der Realität gibt es jedoch keine Fuge, die der anderen gleicht. Also besteht die Herausforderung, trotz unterschiedlicher aktueller Fugenpositionen, -größen, Fugenbreiten etc. qualitativ gut zu schweißen.

Werden Schweißtoleranzen überschritten, ist die Schweißnaht fehlerhaft und muss nachgearbeitet werden oder das Bauteil ist Ausschuss.

Es gibt 3 Ansätze zum Ausgleichen oben genannter Abweichungen:

  1. Konventionelles Prozessmanagement
  2. Nahtsuche
  3. Nahtführung

Am meisten angewendet: Konventionelles Prozessmanagement

Im konventionellen Prozessmanagement geht es um Ansätze, die versuchen, eine zufriedenstellende Schweißnahtqualität zu erreichen und gleichzeitig den Aufwand zu minimieren. Diese sind:

  1. Mehr Schweißdraht einbringen und darauf bauen, dass die Fuge möglicherweise überdimensioniert ist aber ausreichend gefüllt wird
  2. Dafür sorgen, dass die zu schweißenden Bauteile besser vorbereitet aus den vorhergehenden Prozessschritten kommen – was schwer zu kontrollieren ist
  3. Optimierte, komplexere Spannvorrichtungen einsetzen
  4. Eventuell die Schweißreihenfolge ändern, damit der Wärmeverzug bestmöglich eingeschränkt wird
  5. Den Roboter genauer programmieren – was ein stetiger Kampf ist, weil sich die Positionen der Bauteile ändern und die Roboterprogrammierung ständig angepasst werden muss

Vorteil:

Es gibt kaum Vorabinvestitionen. Ausnahmen sind optimierte Spannvorrichtungen, die in der Regel teurer sind, oder Investitionen in die Weiterbildung von Roboterprogrammierern.

Nachteile:

Sie kosten Zeit,

  • wenn zu viel Zusatzmaterial und Energie eingebracht wird – das Material muss dann wieder mühsam entfernt werden
  • im Fall von Neuprogrammierungen, weil Positionen der Schweißbahn häufig an die wechselnden Teile angepasst werden müssen. Dies erfordert auch mehr qualifiziertes Personal
  • weil bereits mangelhafte Bauteile produziert wurden, denn das Neuprogrammieren ist reaktiv

Sie bergen versteckte Kosten,

  • wenn mangelhaft produzierte Bauteile nachgearbeitet werden müssen
  • denn mehr Materialeinsatz beim Schweißdraht bedeutet auch einen höheren Verbrauch an Schutzgas bei gleichzeitig langsamerer Schweißgeschwindigkeit

Sie erschweren die Qualitätssicherung,

  • weil zu viele mangelhaft produzierte Bauteile nachgearbeitet und erneut inspiziert werden müssen

Zeitintensiv: Nahtsuche

Die Nahtsuche zum Ausgleichen von Schweißtoleranzen kann auf zwei Wegen erfolgen: taktil – also durch Berührung mit beispielsweise dem Draht oder der Gasdüse – wie auch optisch.

Bei der taktilen Nahtsuche muss der Roboter erst detektieren, wo der Beginn der zu schweißenden Fuge ist. Hierzu fährt er an das Bauteil heran, bis es zur Berührung mit dem Schweißdraht oder der Gasdüse kommt.

Vorteile:

  • Alles, was dazu benötigt wird, ist normalerweise bereits im System enthalten
  • Keine zusätzlichen Kosten

Nachteile:

  • Die zu schweißende Fuge muss groß sein – mit mindestens 2–3 mm Freiraum
  • Eignet sich nur für kurze Schweißbahnen und nicht zur Online-Nahtführung
  • Misst keine Nahtgeometrie wie z. B. Spalte oder Versatz
  • Erfordert Neuprogrammierung des Schweißroboters

Die optische Nahtsuche hat wiederum 3 verschiedene Ansätze:

1. Mit Laserpunktsensor

Ein Laserstrahl fährt rechtwinklig über die Oberfläche des Bauteils und scannt diese ohne Berührung. Der Roboter erhält die Information, wo der Schweißprozess beginnen muss.

Vorteile:

  • Schneller als die taktile Nahtsuche, jedoch noch immer ziemlich langsam
  • In der Regel kostengünstige Variante im Vergleich zur Triangulation
  • Eignet sich für kurze und lange Nähte

Nachteile:

  • Benötigt klare Kontraste, um die Fuge und Merkmale zu erkennen
  • Investitionskosten für Sensorsystem und dessen Installation
2. Mit Laserliniensensor (Lasertriangulation)

Diese Technologie führt eine berührungslose Abstandsmessung mittels Lasertriangulation durch. Hierfür projiziert eine Halbleiter-Laserdiode eine Laserlinie auf das Werkstück direkt unterhalb des Sensorkopfs. Der Sensorkopf ist mit einer Kamera ausgestattet, die die vom Werkstück reflektierte Form aufnimmt und daraus die Position der Fuge messen kann.

Vorteile:

  • Sehr schnelles System, Seiten- und Höhenmessungen sind in weniger als 1 Sekunde möglich
  • Sehr flexibles System, das bei vielen Nahttypen angewendet werden kann – besonders gut bei kurzen Nähten wie zum Beispiel Heftnähte
  • Berührungsloses Messen

Nachteil:

  • Höhere Investitionskosten für Sensorsystem und dessen Installation im Vergleich zu den zuvor beschriebenen Nahtsuchtechniken
3. Mit Kamera

Eine Kamera verwendet einen Algorithmus, um die Position der Fuge anhand der Helligkeitsunterschiede zwischen der Fuge und dem umgebenden Material zu ermitteln. Dieses Prinzip funktioniert vor dem Zünden des Lichtbogens, wird aber leicht durch Änderungen des Lichteinfalls, der Oberflächenbeschaffenheit oder der Materialien gestört. Für die Nahtführung während des Schweißens selbst ist dieser Ansatz nur bedingt geeignet, da der Lichtbogen ein großer Störfaktor ist. Auf dem Markt gibt es unter anderem ein Kamerasystem von Novarc, welches im Rohrschweiß-Roboter SWR eingesetzt wird.

Vorteile:

  • Misst Seiten einer Schweißfuge sehr schnell
  • Für kurze und lange Nähte geeignet

Nachteile:

  • Benötigt Kontraste, um die Fuge und Merkmale erkennen zu können
  • Sehr empfindlich gegenüber Oberflächenbeschaffenheit der Bauteile
  • Hohe Empfindlichkeit gegenüber optischen Störeinflüssen (Tageslicht, Hallenbeleuchtung, etc.)
  • Hohe Investitionskosten für Sensorsystem und dessen Installation

Effizient: Nahtführung

Der effizienteste Weg, um Schweißtoleranzen einzuhalten, ist die Nahtführung. Sie ist zuverlässig und Nacharbeitskosten lassen sich einsparen. Man unterscheidet in taktile und optische Nahtführung.

Die taktile Nahtführung hat 2 Ansätze:

1. Die Suche der Fuge erfolgt durch Berührung mit dem Draht, die Nahtführung erfolgt dann nachgeführt mithilfe des Lichtbogens. Hierzu pendelt der Schweißbrenner und misst den Widerstand.

Vorteile:

  • Im System ist bereits alles enthalten, was man für diese Art der Nahtführung braucht. Es ist also keine zusätzliche Investition notwendig
  • Eignet sich für lange Schweißnähte und ebenso zum Tracken

Nachteile:

  • Langsame Nahtsuche, daher auch längere Zykluszeit
  • Bleche müssen dicker sein
  • Funktioniert nur durch Pendeln, daher ist die Schweißgeschwindigkeit langsamer
2. Die Messung mithilfe eines Führungsfingers ist ein konventioneller Ansatz, um Schweißtoleranzen auszugleichen. Hierzu wird ein Führungsfinger in die zu schweißende Fuge positioniert, der Automatenschweißbrenner folgt unmittelbar dahinter. Dieses System funktioniert nicht mit Schweißrobotern, nur mit Schweißautomaten.

Vorteile:

  • Relativ günstiges Verfahren
  • Einfache Bedienung

Nachteile:

  • Ungenau beim Messen
  • Kein adaptives Schweißen möglich
  • Nur für Schweißautomaten geeignet, nicht für Schweißroboter

Die optische Nahtführung hat ebenfalls 2 praktische Ansätze:

1. Lasertriangulation – die flexibelste und vielseitigste Technologie für das Ausgleichen von Schweißtoleranzen. Im Vergleich zu kamerabasierten Systemen ist diese Technologie sehr robust und weniger anfällig für äußere Einflüsse wie Änderungen des Umgebungslichts und Veränderungen der Materialoberfläche. Sie ist die schnellste Methode zum Finden und Schweißen einer Fuge.

Vorteile:

  • Schnelle Nahtsuche und Schweißen unter voller Prozessgeschwindigkeit
  • Das Messen der Nahtgeometrie kann eine adaptive Steuerung und eine optimierte Schweißnaht ermöglichen
  • Eignet sich für viele Nahttypen, lange Schweißnähte und ebenso zum Tracken

Nachteil:

  • Hohe Investitionskosten
  • Erfahrung bzgl. Anbindung an Robotersteuerung oder SPS notwendig
2. Kamerabasierte optische Nahtführung – eine Technologie mit spezieller Kamera, die den Schweißprozess ununterbrochen beobachtet. Dieses System ist weniger flexibel gegenüber Störeinflüsse als die Lasertriangulation und muss daher sehr genau auf die spezielle Applikation angepasst werden, um Schweißtoleranzen messen und ausgleichen zu können.

Vorteile:

  • Schnelles Verfahren
  • Gut zum Schweißen langer Nähte, auch zum Tracken

Nachteile:

  • Teure Technologie, die für nur wenige Laserapplikationen geeignet ist
  • Große Herausforderung, das Schweißbild korrekt zu interpretieren, um die Nahtposition zu messen
  • Sehr anwendungsspezifisch

Fazit

Nur eine Technologie ist flexibel genug, um in verschiedenen Anwendungen eingesetzt werden zu können: die optische Nahtführung mittels Lasertriangulation. Sie ist die einzige Methode, die es schafft, auch dynamische Verformungen eines Bauteils wie beispielsweise Verzug durch Prozesswärme zu erkennen und Schweißtoleranzen in Echtzeit auszugleichen.

Optische Nahtführung mit den iST ARC-Sensoren von ABICOR BINZEL passen den Lauf des Schweißbrenners in Echtzeit an. Sie können Werkstückfugen ab 0,1 mm Spaltbreite erkennen und verfolgen.

Natürlich gibt es keine Lösung für »die eine« Nahtführung. Jede Applikation ist individuell. Wenn Sie nach einem Ansatz suchen, der die beste Kombination aus Geschwindigkeit, Robustheit und Flexibilität bieten kann, sind Sie mit der optischen Nahtführung mit Lasertriangulation am besten aufgestellt.

Haben Sie schon Erfahrungen mit den hier genannten Systemen gemacht? Schreiben Sie uns!

Quelle Abbildung 4: https://www.carpano.it/tactile-seam-tracker-ig-3/